Management Summary: das WeTab ist zu unfertig, und die Chancen stehen aus meiner Sicht schlecht, dass sich das noch ändert.
Ich verlinke zum Anfang einen der ersten Artikel zum WeTab (damals noch WePad). Schon damals, so im Mai 2010, war man sich nicht sicher, ob das mit dem WeTab so ein großer Wurf wird. Klar, die Hardwareausstattung schien dem iPad um Weiten voraus, aber das hilft nicht viel, wenn die Software, vor allen Dingen das Software-Angebot nicht da ist. Apple hat hier den Vorteil, die iPhone-Apps einzustreuen (auch wenn die auf dem iPad nicht wirklich Spaß machen) – und die Entwickler nicht lange überzeugen zu müssen, dass das iPad „das nächste große Ding“ wird. Aber genug von der WeTab-Konkurrenz, denn die muss man gar nicht mal ansprechen.
Es begab sich, dass ich am Samstag in den lokalen Media Markt pilgerte, um den Bedarf nach neuem Spielzeug zu stillen. Und da war es – das WeTab. Nachdem alle rationalen Entscheidungsmechanismen außer Kraft gesetzt waren, trug ich schlußendlich eines der Geräte in einer ansprechend kleinen Verpackung aus dem Laden.
Vorab: Ich bin ein geek und stehe dazu. Meine Android-Devices hatten Kinderkrankheiten, die ich Ihnen verziehen habe, denn ich vertraute auf Updates. Dass das Milestone nicht „Flash-Ready“ ist, wie ursprünglich beworben, verzeihe ich ihm auch. Kurzum: wenn ein Gadget mal nicht so läuft, wie man sich das so vorstellt, dann arrangiere ich mich damit.
Nach dem Einschalten kurz einrichten und auf das Update warten – soweit, so gut, keine Probleme bis hierhin. Aber das war es auch schon… das erste Starten des Browsers hat dann schon den Eindruck vermiest („You never get a second chance to make a first impression“). Die Schaltfläche zum Schließen des Browsers ist zu klein, und der Touchscreen zu ungenau, so dass man diese Schaltfläche wirklich intuitiv trifft (die Berührung ist ca. 5mm neben dem Punkt, an dem sie erkannt wird). Der Google Reader funktioniert nicht, weil der Browser nicht darauf eingerichtet ist, dass die Seite per Javascript dynamisch nachgeladen/ verlängert wird. In Google Mail kann man nicht vernünftig scrollen. Abhilfe: Google Chrome (bzw. Chromium) steht als „App“ bereit. Der ist dann aber nicht „Touchifiziert“, so dass man dort wie am Rechner mit dem Finger am Scrollbalken arbeiten muss – was aufgrund der erwähnten Ungenauigkeit des Displays keinen Spaß macht. Wenn man in Chrome zoomt und aus Versehen den Vollbildmodus aktiviert, hilft nur noch ein Neustarten des Geräts – anders war es mir nicht möglich, den Vollbildmodus zu verlassen. Hier würde es sich anbieten, dass der Einschaltknopf den Desktop als aktives Element zusammen mit dem Ausschalt-/ Standbydialog in den Vordergrund holt. Zurück zum Standardbrowser: auf Doppelklick zoomt der das aktuelle Element wie von den iSonstwasses bekannt. Allerdings erst mit 10 – 15 Sekunden Verzögerung, und dann auch nicht richtig. „Multitouch“ steht zwar dran, ist aber völlig zu vergessen.
Das Display ist zehn Mal zu neigungsabhängig. Für ein Gerät, dass hochkant oder auf dem Schoß liegend genutzt werden soll i-n-d-i-s-k-u-t-a-b-e-l. Apropos auf dem Schoß liegen: das WeTab bringt ein stolzes Kilogramm auf die Waage. Damit kann man es nicht dauerhauft mit dem Handballen aufrecht halten, das gibt Krämpfe. Womit wir wieder bei der Blickwinkelabhängigkeit wären…
Das Mailprogramm ist Claws Mail und völlig ungeeignet. Wenn der Mailserver nicht richtig eingerichtet wird, verabschiedet sich der Mailclient ins Nirvana und fragt beim nächsten Start wieder die Kontodaten ab. Soweit, das Programm wirklich auszuprobieren, bin ich gar nicht gekommen.
OpenOffice liegt bei, lässt sich aber kaum bedienen. Auch hier spielt wieder die Ungenauigkeit der Eingabe mit herein – und dass, entgegen der Hilfefunktion, ein langes Berühren einer Stelle nicht als Rechtsclick ausgewertet wird.
Die „Apps“ sind entweder einfache SDL-Programme, wie man sie auch aus den Distributionen kennt (z. B. Tuxpaint, mit dem ich die Genauigkeit des Displays getestet habe) oder einfache Bookmarks, die den Browser mit der jwlg. Seite starten (z. B. Facebook, XING). Von der „stern App“ z. B. ist keine Spur.
Die Bildschirm-Tastatur sieht nicht nur unprofessionell aus, sie reagiert auch bescheiden. Sie ist nicht Multitouch-fähig (z. B. mit gedrückter Umschalttaste einen Buchstaben eingeben ist nicht möglich) und man hat das Gefühl, dass sie Zeichen verschluckt oder zu schnell wiederholt. Klar, das Tippen auf einem Bildschirm ist gewöhnungsbedürftig, aber hier hat man anscheinend noch nicht viel Entwicklung hereingesteckt.
Wer sich die „root“-Shell installiert, kann auf die laufenden Programme zugreifen. Hier hängt eine komplette Linux-Toolchain herum, zusammen mit den Utilities, die 4tiitoo für das WeTab erstellt hat. Ohne mir das im Detail angeschaut zu haben: professionell sieht anders aus. Aber es läuft (so mäßig).
Android läuft noch nicht. Es wird spannend zu sehen, ob hier ein Emulator (das wäre gruselig!) wir im Android SDK gestartet wird, oder ob die Android-Toolchain (es gab ein Android, dass auf dem EEE701 „lief“) für das WeTab nativ kompiliert wird. Das wird übrigens kein kleiner Brocken werden, immerhin ist Android ein „Dreiviertellinux“, das in das Meego-basierte System ‚eingekreuzt‘ werden muss.
Sollte ich auf die Updates warten? Hier wird’s richtig haarig, und ich erlaube mir, an dieser Stelle ein reines Meinungsbild abzugeben.
Das Gespann Neofonie/ 4tiitoo ist mir als „deutsches Startup“ eigentlich sympathisch (sieht man mal von den PR-Desastern wie Präsentation eines WeTabs mit Film statt Benutzeroberfläche und der vermeintlichen Selbstbewertung bei Amazon ab). Aber diese Firmen sind einfach zu klein für die Entscheidungen, die sie getroffen haben.
Würde das WeTab mit einem angepassten Ubuntu-Netbook (mit größeren Schaltflächen, Touch-Panelübersetzung, Bildschirmtastatur) laufen, ich hätte mehr Möglichkeiten. Aber man hat sich „Meego“ gesagt, und setzt damit auf eine der größten Totgeburten des letzten Jahres. Warum? Intel braucht kein netbook-Linux mehr, weil sich der Atom-Prozessor mit Windows glänzend verkauft – gerade weil Microsoft hier viele Zugeständnisse gemacht hat, als der EEE701 von Asus mit Linux auf dem Markt kam. Nokia hat schon Maemo nicht wirklich aus dem Geek-Stadium herausgebracht. Beide Firmen arbeiten noch an Meego (denke ich zumindest), aber weder sehe ich das System als strategische Plattform (für Telephone zu fett, für Netbooks zu unfertig, für Tablets ungeeignet), noch werden die WeTab-Firmen irgendwelches Gewicht haben. Als Indiz sehe ich die von 4tiitoo hinprovisierten Tools wie die Bildschirmtastatur oder den Browser. Bei einer gesunden Meego-Basis, die man als Partner und nicht als Bastler entwickelt, wären diese Tools aus der Meego-Distribution gekommen und gemeinsam entwickelt worden.
Und an dem Punkt sehe ich schwarz. Mit den aktuellen Testberichten, die ja berechtigt sind, werden die ersten WeTabs wie Backsteine in den Regalen liegen bleiben. Die vielen Vorschusslorbeeren, die man sich eingeheimst hatte, sind mehr als aufgebraucht, und es ist schon als Gefallen zu sehen, wenn ein Tester „das wird noch“ schreibt. Von den ehemaligen „strategischen Partnerschaften“ mit Medienhäusern ist nichts mehr zu sehen. Es gibt schlicht keine Infrastruktur – überraschend wäre, wenn diese noch dieses Jahr ausgerollt wird (es geschehen ja noch Zeichen und Wunder). Wenn das WeTab-Gespann nicht allerschnellstens ein Wunder geschehen lässt, sehe ich die Unternehmen an den finanziellen Rahmenbedingungen einer verpatzten Produkteinführung scheitern. Und dann kann man sich die Updates vom Hersteller von der Backe schmieren. Was bleibt ist ein 569,- (3G 32GB-Version) teures Linux Tablet mit ungenauer Touch-Eingabe (nicht Stift-bedienbar), zum U-Bahn-Surfen zu schwer und zum Arbeiten zu unpraktisch.
Ein letzter Lichtblick könnte die versprochene Android-Laufzeitumgebung werden. Wer weiß, vielleicht sehen wir ja aus der Homebrew-Ecke ein für das WeTab gebautes Android, dass die traurige Basis des Herstellers komplett ersetzt?
Update: Hier sieht das jemand nahezu 100%ig wie ich (englisch).
2. Update: Frau Fritsche weist darauf hin, dass sie mir ja gesagt hätte, dass das Ding Müll ist – „Today, I will gladly share my knowledge and experience, for there are no sweeter words than I told you so!„
Und wirst du es behalten?
569 Flocken sind ein stolzer Preis für die Wette, dass die Community die Hausaufgaben des Herstellers macht. Andererseits sieht’s bei den Alternativen auch Mau aus, z. B. wird das Galaxy Tab UVP für fast den doppelten Preis eines iPads eingeführt.
Es sieht so aus, als müsste die Rollkragenarmee aus Cupertino mal wieder ihren Marktanteil auf 90% bringen, bevor der Rest der Hersteller einsieht, dass man hier nicht jeden Preis für jeden Schrott nehmen kann.
Ich gebe dem Gerät eine Woche Zeit…
So, mein Gerät steht wieder dort, wo es herkam.
Diesem Kommentar http://goo.gl/E38d stimme ich 100%ig zu und sah deswegen keine andere Lösung – die Firma wird Weihnachten 2010 nicht mehr erleben und mit einem Ubuntu Netbook Remix gibt’s Netbooks billiger – außerdem habe ich davon schon eines.
Ich habe noch mit dem iPad gespielt… andere Liga, fast mitgenommen, aber es ist eben von den Kontrollfreaks aus Cupertino, deswegen unkaufbar.