Wir sind was, was ihr nicht seid!

Aktuelle Diskussion

Die Urheberrechtsdebatte wurde in interessierten Kreisen, vor allen Dingen von den Netizens, schon lange geführt. Die lange dahinplätschernde Diskussion, die (beispielsweise) zwischenzeitlich aufflammte, als die GEMA Kindergärten abmahnte.
Dann hat kürzlich Sven Regener im Bayernradio eine Wutrede gehalten, die aus der Blogosphäre u.a. mit Texten wie Sven Regener, du erzählst Unsinn und ich erklär dir warum erwidert wurde.
Nicht lange nach diesen Ereignissen startete das Handelsblatt in seiner Print-Ausgabe die Aktion “Mein Kopf gehört mir” – bei der sich 100 “Schriftsteller, Unternehmer, Künstler und Politiker” kritisch gegen eine diffuse Menge von angeblichen “Urheberrechtsgegnern”, z.B. den Piraten oder den Grünen, aussprachen (nota bene, der überwiegende Teil der Unterstützer sind anscheinend primär “Verwerter” denn “Kreative”). Die Antwort aus dem Netz ließ auch hier nicht lange auf sich warten – eine Antwort von netzpolitik.org: „Mein Kopf gehört mir!“: Kampagnen„journalismus“ vom Feinsten.
Entsprechend des Handbuchs für gelungenes Lobbying kam dann auch noch eine “Graswurzelbewegung” von 51 Tatort-Autoren, die sich bei genauem Blick auch als Astroturfing herausgestellt hat. Der CCC hat hier eine passende Antwort auf den offenen Brief der Tatort-Drehbuchschreiber veröffentlicht.
Am 11.05 folgte dann der nächste offene Brief an alle, die nicht Urheber sind: Wir sind die Urheber. Man könnte vermuten, dass bei der Dauerberieselung mit falschen Unterstellungen, Vereinfachungen oder schlichten Falschaussagen die vielgenannte “Netzgemeinde” müde wird, auf dererlei zu antworten, aber auch dieser offene Brief führte zu Reaktionen – eine gegen die (faktisch notwendige) Überwachung, wenn das bestehende Urheberrecht ultimativ durchgesetzt würde – Wir sind die Bürgerinnen und Bürger – und eine, die darauf hinweist, dass kreatives Schaffen nicht im kreativen Vakuum passiert: Auch wir sind Urheber/innen.
Heute las ich dann auf dem Blog von Jens Berger den Text von Michael F. Basche “Wenn Avatare über Werte quasseln”, weswegen ich letztlich diesen Text schreibe.

Wer ist eigentlich Urheber?

Grundsätzlich ist jeder, der etwas künstlerisches oder literarisches schafft, ein Urheber. Dazu gehören das Schießen eine Handyschnappschusses oder das sorgfältig vorbereitete Studiophoto, das Schreiben eines aufwendig recherchierten Buches oder das Führen eines Blogs, die Aufnahme des Hollywood-Blockbusters oder eines Demonstrationszuges, der Programmierer einer Bildbearbeitungssoftware oder eines Scripts zum Video-Umwandeln …. Für die Eigenschaft, ein Urheber zu sein, muss keine Gewinnerzielungsabsicht vorliegen, man ist es kraft des Schaffensakts (zumindest in Deutschland).

Daraus folgt, das im Grunde genommen jeder von uns Urheber ist. Allerdings lebt nicht jeder von uns von seinen Kreationen.

Professionelle Urheber

Ein professioneller Urheber bekommt Geld für seine Kreationen. Dazu kann es auf mehrere Arten kommen. Einige Beispiele:

  • “Harry Potter” von J. K. Rowling hat der Legende nach als Gute-Nacht-Geschichte angefangen. Die Urheberin hatte eine gute Geschichte, bei deren Vermarktung professionelle Verwerter geholfen haben,
  • “Fifty Shades of Grey” von E. L. James ist eine von einem Fan geschriebene Geschichte im Twilight-Kanon. Diese Geschichte hat ohne Unterstützung durch Verlage eine größere Fanbasis erreicht,
  • man lerne an einer Journalismus-Hochschule und werde Autor bei einer Zeitung, als Beispiel für eher “handwerksartige” Karriere (Ausbildung – Berufskarriere).

Da der Weg zum professionellen Urheber eher selten per “Entdeckung aus dem Stand” geschieht (auch wenn diese Geschichten gerne gehypet werden, à la “Du kannst es auch schaffen!”), ist die Regel, dass man sein Fach lernt. Das kann entweder dadurch geschehen, dass man selbst in entsprechende Schulen geht oder Kurse besucht, oder auch durch Selbststudium.

Kreativ werden

In der Regel wird einen etwas interessieren, was man nicht “einfach so” kann. Man lernt etwas (etwa Gitarre spielen, photographieren). Hierfür setzt man sich erst einmal mit seinem Werkzeug auseinander, lernt seine Eigenschaften kennen. Im nächsten Schritt übt man eine ganze Menge, in dem man Stücke spielt (Szenerien nachstellt, sucht), die jemand anderes einmal geschaffen hat. Nach langer Zeit der Übung gibt es dann einen Moment (nicht bei allen), wo man sich vom einfachen Nachstellen oder Nachspielen entfernt und anfängt, selbst etwas zu schaffen.
So ähnlich geht es mir beim Programmieren. Das ist mir auch nicht einfach so zugeflogen. Ich lerne eine Sprache, ihre Regeln, und schaue mir Programme von Anderen an. Ich löse meine Probleme eine Zeit lang, in dem ich die mir zur Verfügung stehenden Beispiele so anpasse, bis sie mein Problem lösen. Irgendwann in diesem Prozess habe ich die Sprache so weit verstanden, dass ich selbst auf kreative Art und Weise und ohne vorher ein Beispiel sehen zu müssen Probleme in dieser Sprache lösen kann.
Wenn man selbst geniale Ideen hat, fallen diese nicht aus dem Nichts. Kulturell baue ich auf andere auf. Würde es die moderne Informatik nicht geben, wäre ich nicht in der Lage, meine Aufgaben zu lösen. Gäbe es die Mathematik nicht, wäre ich vermutlich Bauer.

Was stört mich an der Urheberrechtsdebatte?

Zum Ende des Artikels möchte ich, auch wenn es schon durchscheint, noch einmal darstellen, was mich an der aktuellen Debatte akut stört.

Wir gegen euch – wir sind kreativ, ihr seid Konsumenten

Alle zu Beginn des Artikels genannten Initiativen – oder Kampagnen – machen einen klaren Schnitt. “Wir”, das sind die “Kreativen”, die “Urheber”. Und ihr, ihr seid Leser, Hörer, Zuschauer – oder kurz Konsumenten. Wir können Kreativität, ihr nicht.
Das ist für eine verkürzende Polemik in der Tat vereinfachend, stellt die Sachlage aber falsch dar, wie zuvor bereits gezeigt. Und es verkennt die Tatsache, dass nahezu alles Urheben nicht in eine Leere hinein geboren wird. Ich lese Code und programmiere. Ich sehe Bilder und mache ein Handyschnappschuss, wenn sich mir ein ähnliches Motiv bietet. Ich baue Musikuntermalung für Youtube-Videos aus Samples zusammen, die aus einem Mix von selbst aufgenommenen Tonschnipseln und Loops aus dem Netz bestehen. Ich zitiere Tageszeitungen auf meinem Blog, um meine Leser darauf aufmerksam zu machen oder sie zu kommentieren.
Der Text “Wenn Avatare über Werte quasseln” wurde auf dem Blog von Jens Berger veröffentlicht. Das entbehrt nicht eines gewissen Humors, weil Jens gleichzeitig Hauptautor bei den Nachdenkseiten ist. Die tägliche Rubrik Namens “Hinweise des Tages” kopiert meistens Zitate, manchmal ganze Texte (letztere sicherlich mit Einverständnis des jeweiligen Autors) aus Print und Internet. Oft, aber nicht immer, werden diese zusätzlich kommentiert. Kopie als Basis des eigenen Schaffens also.
“Wir können Kreativität, ihr nicht” stimmt nicht.

Je mehr Schutzrecht um so besser

Thomas Jefferson schrieb einmal, als es darum ging, ob ein Apparat, der Getreide mittels an einer Schnur befestigten Eimern transportiert, patentiert werden könnte:

[W]hile it is a moot question whether the origin of any kind of property is derived from nature at all, it would be singular to admit a natural and even an hereditary right to inventors. It is agreed by those who have seriously considered the subject, that no individual has, of natural right, a separate property in an acre of land, for instance. By an universal law, indeed, whatever, whether fixed or movable, belongs to all men equally and in common, is the property for the moment of him who occupies it, but when he relinquishes the occupation, the property goes with it. Stable ownership is the gift of social law, and is given late in the progress of society. It would be curious then, if an idea, the fugitive fermentation of an individual brain, could, of natural right, be claimed in exclusive and stable property. [Thomas Jefferson]

Als das Copyright in seinen Kinderschuhen steckte, machten sich viele Demokraten, Rechtsgelehrte und Philosophen Gedanken darum, ob die Existenz eines Schutzrechtes auf Ideen für das Gemeinwesen förderlich sei. Viele waren sich einig, dass es unnatürlich sei, die Rechte an einer Idee auf eine Person zu beschränken. Vor dem Hintergrund, dass Urheber auch einen finanziellen Anreiz haben sollten, ihrer Profession nachzugehen, hat man sich zu diesen Schutzrechten entschlossen. Im 20. Jahrhundert wurden diese Schutzrechte kontinuierlich ausgebaut, z.B. durch die Verlängerung des Copyrights in den USA, Patentierbarkeit von Software, der Verneinung des Fair Use für zwei-Ton-Samples in den USA. In Deutschland wird die Privatkopie geduldet, nur gibt es durch entsprechende Gesetzgebung teilweise keinen legalen Weg mehr, sich entsprechende Privatkopien zu erstellen. Währenddessen fordern die Verwerter ein sog. Leistungsschutzrecht um ihre Rechte gegenüber Konsumenten und Urhebern zu stärken.
Das lässt das Gefühl entstehen, dass sich der Wind grundsätzlich gedreht hat. Vom ursprünglichen Ansatz “Wie weit müssen wir das Wohl der Allgemeinheit einschränken, um Kultur und Wissenschaft zu fördern” zu “Wie können wir Einzelinteressen maximal entsprechen, in dem wir Schutz- und Monopolrechte schaffen, ohne dass die Gesellschaft zusammenbricht”. Ein gefährliches Spiel, denn wenn wir erst einmal wissenschaftlich und wirtschaftlich ins Hintertreffen geraten sind, kommen wir dort so schnell nicht heraus.

tl;dr

Seit Sven Regeners Wutausbruch im Radio tobt die Urheberrechtsdebatte. Die Trennung in “Wir Kreative” und “Ihr Konsumenten” durch die Teilnehmber auf der Urheberrechtsseite ist falsch. Kreativität wächst aus der Kopie. Der Trend, immer mehr Schutzrechte zu etablieren steht dem Gemeinwohl entgegen.